EXTRAPOST: Krankenhaus als Spiegel der Gesellschaft
Hallo meine lieben Leser,
wie in meinem anderen Blogeintrag angekündigt, hier der „extra“ Blogpost über das Krankensystem in Bolivien und wie viel man dort über die bolivianische Gesellschaft lernt. Es wird etwas allgemeiner, falls ihr also nur erfahren wollt, was mir in den letzten Wochen passiert ist, könnt ihr gerne zu meinem „normalen“ Post wechseln: #9 Blogpost
So jetzt zum eigentlichen Thema vom Eintrag: dem bolivianischen Krankensystem. Die Aussage „Krankenhaus als Spiegel der Gesellschaft“ fand ich dazu sehr treffend. Denn so fröhlich, entspannt und kulturell Bolivien auch sein mag, die Auswirkungen von Armut, mangelnder Aufklärung und einer Politik, die nicht für alle gedacht ist, sondern bevorzugt und andere dadurch ausschließt sind im ganzen Land zu spüren. Bestes Beispiel dafür ist das Krankensystem und deren Bedingungen, über die ich in den letzten Monaten viel gelernt habe.
Es fängt schon bei Grundlegendem an. In Camiri gibt es jedes Jahr das Problem mit Wasserkürzungen, habe ich ja schon in den letzten Blogeinträgen erwähnt. Mir wurde jetzt nämlich erklärt, woran es wirklich liegt. Die Wasserversorgung ist verstaatlicht. Der Prozess der Reinigung und Aufbereitung ist aber anscheinend sehr teuer. Deswegen haben sie den Preis für Wasser erhöht und kürzen das Wasser, damit nicht so viel verbraucht wird. Durch den erhöhten Preis verdienen sie aber noch genauso viel mit weniger Wasser. Das heißt es gibt gleich viel Geld, aber weniger Ausgaben. So kann Geld gespart werden. Den Preis dafür zahlt die Bevölkerung. Um wieder auf das Krankenhaus zurückzukommen, das Schlimme ist, auch hier wird Wasser gekürzt. Was bedeutet das im Krankenhaus? Es gibt kein Wasser mehr fürs Händewaschen, fürs Putzen und für die Toilette. Damit kann die Hygiene nicht mehr gewährleistet werde, was damit endet, dass sich Patienten leichter untereinander anstecken oder es bei OPs zu vermehrten Infektionen kommt.
Die Lösung der Regierung ist dafür, einmal alle paar Monate eine Beraterin von einer „unabhängigen“ Organisation zu schicken, welche das Krankenhaus prüft und im Anschluss erfahrenen Ärzten erzählt, wie man sich richtig die Hände wäscht und desinfiziert. Ich muss zwar zugeben, dass auch wenn Wasser da ist, die Hygienestandarts schlechter als in Deutschland sind. Trotzdem finde ich mit den Mitteln, die sie haben, versuchen sie wirklich das Beste draus zu machen. Die Schuld wird also auf die Ärzte geschoben, auf die fehlenden Mittel wird nicht eingegangen. Ich war bei so einer „Beratung“ dabei und mir fiel sofort auf, dass die Beraterin überhaupt nicht auf die Kritik der Ärzte eingegangen ist. Die Gespräche bewegten sich im Kreis: Als Beispiel die Hygiene nach der OP (eigentlich muss man den Patienten isolieren, damit die offene Wunde sich nicht entzündet). Die Beraterin wies auf die fehlende Isolierung hin, als Antwort wurde auf die fehlenden Kapazitäten aufmerksam gemacht, denn es gibt einfach nicht genug Zimmer. Die Beraterin ging überhaupt nicht auf das eigentliche Problem ein, sondern machte einfach weiter mit anderen Problemen, die alle ihren Ursprung in fehlenden Mitteln hatten. Klar die Beraterin konnte selbst natürlich nicht direkt etwas dafür, es ist eben ihr Job, doch zeigt es, das die Regierung wahrscheinlich selbst nicht genug Mittel hat und deswegen das Krankensystem leiden muss. Das gilt leider hauptsächlich für die Krankenhäuser, wo besonders die Unterschicht hingeht, also die, die auf dem Land leben und meistens unversichert sind. Denn das Krankenhaus, wo meine Mitfreiwillige hingeht, hat immer Wasser und eine viel bessere medizinische Ausrüstung. Dort können aber auch nur Leute hin, die dort versichert sind.
Die Folgen sind gravierend und durfte ich leider auch schon miterleben: Wenn nämlich bei uns Patienten ankommen, welche eine spezielle Versorgung benötigen, werden sie nicht etwa ins besser ausgestattete Krankenhaus eingeliefert, wo meine Mitfreiwillige arbeiten, denn dort dürfen ja nur Versicherte hin. Sondern sie müssen die vierstündige Fahrt über Schotterstraßen nach Santa Cruz auf sich nehmen. So ist letztens ein Frühgeborenes, welches in Deutschland oder im Versichertenkrankenhaus mit einer hohen Wahrscheinlichkeit überlebt hätte, auf der Fahrt nach Santa Cruz, aufgrund fehlender Ausstattung, gestorben. Und das ist kein Einzelfall, sondern leider nur ein Beispiel für viele ähnliche Erfahrungen, die ich gemacht habe.
Auch die Arbeitsbedingungen sind, besonders in Krankenhäusern wie meinem, schlecht. In meinem Krankenhaus arbeiten nur Ärzte, die es wirklich wollen, denn die Löhne und Bedingungen lassen zu wünschen übrig. Viele von Ihnen müssen zu lange Nachtschichten machen wegen Personalmangel. Im Gegensatz dazu gibt es überdurchschnittlich viele Studenten, die für ihr praktisches Jahr in unser Krankenhaus geschickt werden. Diesen fehlt es jedoch an Erfahrung und die „richtigen“ Ärzte müssen sich so zusätzlich noch um die Studenten „kümmern“, also deren Arbeit überwachen und ihnen medizinisches Wissen vermitteln.
Darüberhinaus werden grundsätzliche gesellschaftliche Probleme im Krankenhaus deutlich. Zum einen die fehlende Aufklärung. Da ich in der Kinderabteilung arbeite, habe ich jetzt schon viele Geburten miterlebt. Was mir dabei immer auffällt, dass die Mütter entweder Ü40 sind und ihr sechstes Kind gebären oder gerade mal so 18 (leider manchmal auch jünger) und ihr erstes Kind bekommen. Trotzdem sieht man keinen Unterschied, wenn es zur Pflege vom Neugeborenen kommt. Denn es ist keine Seltenheit, dass wir auch Müttern, die schon viele Kinder gebärt haben, immer wieder daran erinnern müssen, das Kind regelmäßig zu stillen. Außerdem kommt es leider viel zu oft vor, dass Kinder wegen Mangelerscheinungen (zb Haarausfall oder Untergewicht) eingeliefert werden. Aufgrund fehlender Aufklärung und Mittel über Dinge wie gesunde Ernährung, kommt es häufig zu einer unzureichenden Nährstoffversorgung, welche sich besonders in der Entwicklung von Kindern bemerkbar macht. Außerdem haben viele (besonders junge Mütter) einfach nicht die Zeit bzw. das Verständnis davon, soviel Verantwortung zu tragen.
Auch die Rolle vom Mann, als eine Person die ebenfalls Verantwortung fürs Kind trägt, ist in vielen Fällen nicht vorhanden. Ich bin immer schon froh, wenn überhaupt ein Vater dabei ist (was bei jugendlichen Müttern traurigerweise fast nie der Fall). Wenn dieser dann auch noch ein bisschen Plan vom Kinderaufziehen hat, ist es fast ein Wunder. Wie gesagt es gibt immer Ausnahmen, ich habe schon tolle Familien gesehen, wo beide Elternteile sehr viel Mühe in die Pflege vom Neugeborenen stecken. Jedoch ist die traurige Wahrheit eben, das dies meistens nicht der Fall ist und man dann 17 jährige Mütter sieht, welche ganz alleine dastehen und ein Kind großziehen müssen, wo sie doch selbst noch ein Kind sind.
Ich glaube, das liegt aber auch an der Einstellung zum Kinderkriegen. Klar es gibt mangelnde Aufklärung gegenüber Verhütung und Schwangerschaft, aber was mir immer mehr hier auffällt, ist, dass das Kinderkriegen einfach eine andere Stellung hat. Ich weiß nicht genau wie ich es beschreiben soll, aber hier gilt eher die Einstellung das ein Kind zu bekommen, keine größeren Veränderungen im Leben bedeuten. Während in Deutschland die Erfüllung vom Kinderwunsch meistens geplant vorgeht, ist hier in Bolivien eher die Devise, das ein Kind zu bekommen, nicht bedeutet das Leben auf das Kind abzustimmen, sondern dass das Kind, das schon schafft im Leben klarzukommen. Diese Einstellung wird schon bei der Geburt deutlich. Der Ablauf ist derselbe wie in Deutschland, nur mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Der direkte Körperkontakt mit der Mutter direkt nach der Geburt wird einfach übersprungen und das Kind wird direkt gewogen, gemessen und in die Krippe gelegt, wo es dann auf die Mutter wartet. Dabei ist dieser Schritt extrem wichtig für die Mutter-Kind-Bindung, da durch den direkten Körperkontakt Oxytocin ausgeschüttet wird, das „Kuschelhormon“, welches die Bindung zwischen Mutter und Kind stärkt.
Generell ist auch der Ablauf und der Umgang mit der Mutter während der Geburt problematisch. Dieser ist sehr klinisch und unpersönlich. Die Geburten fühlen sich hier nicht wie etwas Besonderes an, sondern wie ein Routinevorgang, bei dem völlig außeracht gelassen wird, das es für die Mutter gerade ihr erstes Mal sein könnte. Meistens sind sehr viele Leute im Geburtensaal, die Ärzte von der Kinderabteilung, Gynäkologen, der beaufsichtigende Oberarzt und öfters noch drei bis vier Studenten, die einfach nur zugucken, um zu lernen. Und trotz all der Menschen, wird die Mutter sehr alleine gelassen, Familienangehörige müssen nämlich draußen bleiben. Ich sehe außerdem fast nie, das jemand einfach mal die Hand der Mutter hält oder beruhigend auf sie einredet. Es läuft meistens sehr chaotisch ab, die Mutter wird manchmal sogar angeschrien sie „solle doch endlich drücken, weil sonst ihr Kind stirbt“. Dadurch wird die Geburt, die ja an sich schon stressig und anstrengend genug ist, nicht gerade besser gemacht. Meiner Meinung nach fehlt den Ärzten hier das Einfühlvermögen und Empathie in besonders so emotionalen Ereignissen wie der Geburt.
Wie ihr also seht, wird man im Krankenhaus mit der Realität konfrontiert, welche ein Produkt aus den mangelnden Ressourcen des Staates und den damit einhergehenden sozialen Problemen ist. Ein Problem, mit welchem leider viele postkoloniale Länder zu kämpfen haben. Wie aktuell die Probleme diesbezüglich sind, zeigen auch die derzeitigen Blockaden im Departamento Santa Cruz. Zurzeit sind in der zweitgrößten Stadt Boliviens seit neun Tagen alle Straßen blockiert, ein sogenannter Generalstreik, denn die Bevölkerung fordert aufgrund der gewachsenen Einwohneranzahl mehr finanzielle Förderung. Klar die bolivianische Kultur hat wunderschöne Seiten. Es wird alles geteilt, man wird nie einen Bolivianer rennen sehen, weil er gerade zu spät kommt und es wird nie ein Problem geben, wo die Bolivianer irgendwie wütend oder gestresst werden, sondern sie werden geduldig warten nach einer Lösung suchen. Doch die Maske von immer glücklichen und entspannten Menschen kann leider nicht die gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten verstecken, mit denen die Bolivianer immer noch konfrontiert werden.
Ich hoffe der Beitrag hat euch gefallen und hat euch einen tieferen Einblick in die Problematik gegeben. Ich habe ja schon öfters von dem einen oder anderen Fall erzählt, aber es gibt eben leider eine tiefere Ebene, wieso solche Vorfälle überhaupt passieren. Es freut mich das du bis zum Ende drangeblieben bist!
Eine schöne Woche noch,
Saludos Cata <3


Hallo Catalina!
Sehr interessante und leider auch traurige Darstellung der Verhältnisse im bolivianischen Gesundheitswesen.
Habe trotzdem weiterhin viel Spaß und mache viele Erfahrungen.
Liebe Grüße von Corinna
Selbst in Chile war es zumindest bei den mir bekannten Geburten auch nicht erlaubt, dass Angehörige mit dabei sind und unterstützen. Scheint in Lateinamerika recht “normal” zu sein.
Wenn die Wasserdruckabfälle bei Euch auch so häufig sind, verstehe ich nicht ganz, warum nicht einfach alle Häuser (egal, wie primitiv) oben auf dem Dach einen Wassertank haben wie in Argentinien, wo das Wasser ja schon seit je her immer mal für ein paar Stunden oder auch mal nen Tag abgedreht wird.
Hallo! Ja also es gibt Wassertanks, nur ist der bei uns Zuhause schon zu alt 🙁